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Im Gespräch mit Nina Conrad über «Traceable Leather» und die Gründe, wieso die Lederindustrie umdenken muss

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Datum : 2020

Appenzeller Gurt bezieht seit kurzem einen Grossteil seines Leders über die bttr GmbH. Für „Traceable Leather“ bezieht sie die Rohmaterialien unter anderem bei Fairfleisch und gerbt diese bei einem Traditionsbetrieb in Süddeutschland bei Tuttlingen. Wir haben uns mit Nina von bttr zu Themen wie Hofschlachtungen, Ökologische Gerbung und Patina unterhalten und nachgefragt, wieso die Schweiz da Nachholbedarf hat.

1. Du verwendest den Begriff «traceable leather». Was ist damit gemeint?

Nina Conrad: Damit ist Leder gemeint, das bis zu seinem Ursprung – dem Tier – rückverfolgbar ist und der gesamte Herstellungsprozess transparent ist. Rückverfolgbarkeit ist ein sehr wichtiger Aspekt in der Nachhaltigkeit. In der Lederindustrie war oder ist diese aber bislang nicht Usus, die Spuren der tierischen Häute verlieren sich bereits im Schlachthof. Mit „traceable leather“ möchten wir dies ändern und einen neuen Standard setzen.

Die nachhaltige Produktion ist für uns selbstverständlich: Dies beginnt mit der artgerechten Tierhaltung und biologischer Landwirtschaft. Wir arbeiten mit regionalen Schlachthöfen in Süddeutschland wie auch in Graubünden zusammen, der Transportweg ist für die Tiere also kurz, teilweise wird auf dem Hof geschlachtet. Für die Tiere bedeutet dies weniger Stress. Das Rohmaterial wird rein pflanzlich und ohne den Einsatz von Chemikalien zu Leder gegerbt. Dieser Prozess findet in Süddeutschland statt.

2. Fairfleisch, was genau hat es mit dem Label auf sich?

Nina Conrad: Fairfleisch ist einer unserer Partner, von welchen wir das Rohmaterial beziehen. Es ist ein mittelgrosser, regionaler Schlachthof in Süddeutschland, in der Nähe des Bodensees. Wie der Name schon vermuten lässt, vertreibt Fairfleisch ausschliesslich Fleisch von biologisch zertifizierten Landwirten, die auf ihren Höfen die Tiere nach strengen ethischen Vorgaben aufziehen und halten. Die artgerechte Tierhaltung, kurze Transportwege, eine schonende Schlachtung und handwerkliche Verarbeitung sind wichtige Voraussetzungen für eine gute Qualität und einen ausgezeichneten Geschmack von Fleisch. „Weniger Fleisch, dafür besseres“ ist Programm. Die gute Tierhaltung und Fütterung ausschliesslich mit Gras hat positive Auswirkungen auf die Qualität des Leders: Den gesunden Lebensstil sieht man den Tieren und damit auch deren Haut an – wie bei uns Menschen ja auch.

3. Wichtiger Teil des Tierwohls hängt auch mit dem Schlachtprozess zusammen. Wie passiert das bei Fairfleisch?

Nina: Die Tiere stammen alle aus der Umgebung, im Durchschnitt 30 Kilometer entfernt – somit ist ein kurzer Anfahrtsweg sichergestellt. Die Transporte finden in der Regel in einem Pferdeanhänger statt, die Tiere werden also nicht in grosse Laster gepackt und quer durch das Land gefahren. Ein Teil der Tiere wird auf deren Hof geschlachtet und im Schlachthof zu Fleisch verarbeitet. Der Prozess an und für sich findet „schonend“ statt – ich schreibe dies in Gänsefüsschen, denn kann das Töten eines Tieres überhaupt „schonend“ stattfinden? Meiner Meinung nach nicht. Fairfleisch nimmt sich aber für die Tiere sehr viel Zeit, es werden maximal 4 Tiere pro Stunde geschlachtet – im Gegensatz zu konventionellen Schlachthöfen, wo dies bis zu 40 Tiere pro Stunde sind.

An dieser Stelle finde ich es wichtig darauf hinzuweisen, dass ein grosser Teil der Kühe Milchkühe sind. Leder stammt also nicht einfach von der Fleischindustrie, denn Rohhäute fallen auch in der Milchindustrie an. Solange also der Konsum von Milchprodukten und Fleisch Teil unserer Realität ist, erachte ich es als äusserst sinnvoll, die Häute der Tiere zu verwerten. Die Alternative wäre, die Häute zu verbrennen. Das fände ich sehr schade.

4. Wo wird das Leder gegerbt und gefärbt und was ist speziell an diesem Prozess?

Nina Conrad: Unsere Leder werden in Süddeutschland rein pflanzlich gegerbt. Anders als gemeinhin angenommen, kommen in der Vorgerbung synthetische Hilfsstoffe zum Einsatz, die allerdings ökologisch unbedenklich sind. Die Zusammensetzung der Gerbmischung ist von Gerberei zu Gerberei unterschiedlich und stets ein gut gehütetes Geheimnis. Zum Einsatz kommen Extrakte von Quebracho-, Eichen- und Kastanienholz, Baumrinden von Mimosen- und Sumachgewächsen wie auch Baumfrüchte, zum Beispiel die Valonea-Eiche oder Taraschoten.

Zum Färben kommen synthetische, wasserbasierte Farben zum Einsatz, die unbedenklich sind und gegenüber pflanzlichen Farbstoffen viele Vorteile aufweisen. Mit Pflanzenextrakten zu färben ist leider extrem teuer, da es verhältnismössig viel Extrakt braucht. Der Prozess ist sehr wasserintensiv, die pflanzlichen Farbstoffe können nicht wieder aufbereitet werden und ausserdem bleicht die Farbe schnell aus.

Ein grosser Teil unserer Leder wird aber nicht gefärbt, sondern naturbelassen. Dieses Leder bekommt mit der Nutzung eine wunderschöne Patina, wird mit der Zeit immer dunkler und weicher.

5. Kühe in Süddeutschland, gerben in Süddeutschland, wieso nicht in der Schweiz?

Nina Conrad: Wir hatten uns dazu entschieden, alles möglichst lokal zu machen und mit einem Schlachthof zu arbeiten, welcher ausschliesslich artgerecht gehaltene Tiere von biologisch zertifizierten Betrieben verarbeitet. Diesen fanden wir in Süddeutschland – und natürlich verarbeitet ebendieser Schlachthof ausschliesslich deutsche Tiere. Sie leben alle in der Region Bodensee, also unweit der Schweizer Grenze. Regionalität macht meiner Meinung nach an den historisch entstandenen Landesgrenzen keinen Halt. Neu verarbeiten wir aber auch Rohhäute von Mutterkühen aus den Bündner Alpen, weitere Kollaborationen mit kleinen Schweizer Schlachthöfen sind im Aufbau.

Die Gerbung der Rohhäute von Fairfleisch findet aus einem einfachen Grund in Deutschland statt: In der Schweiz gibt es keine Gerbereien mehr, die auf die Verarbeitung von grösseren Stückzahlen ausgerichtet sind und Leder in einer solchen Qualität herstellen können. Die Gerberei liegt nur 40 Minuten vom Schlachthof entfernt. So können wir die Transportwege sehr kurz und die CO2-Emissionen niedrig halten. Im Vergleich zu den italienischen Gerbereien passiert hier alles unter demselben Dach – von der Vorgerbung bis zum Finishing. So können wir die Rückverfolgbarkeit garantieren.

In der Schweiz gibt es keine Gerbereien mehr, die auf die Verarbeitung von grösseren Stückzahlen ausgerichtet sind und Leder in einer solchen Qualität herstellen können.

Nina Conrad

6. Was unterscheidet Chrom gegerbtes Leder von pflanzlich gegerbtem Leder?

Nina Conrad: Vieles. Der Einsatz der Gerbstoffe bestimmt das Endprodukt. Die Chromgerbung ist im Vergleich zur pflanzlichen Gerbung sehr viel kürzer und daher auch kostengünstiger. Das Leder wird weich, leichter, und durch das helle Ausgangsmaterial kann es mit allen Farbtönen gefärbt weder. Allerdings überwiegen meiner Meinung nach die Nachteile: Chrom ist ein Schwermetall, welches – wie leider die meisten Schwermetalle – unter misslichen Bedingungen abgebaut wird. Bei korrekter Verwendung sind die Chrom-III-Salze zwar unbedenklich, sie können sich aber unter extremen Konditionen zu gesundheitsschädlichem Chrom VI verwandeln. Die Rückstände, die im Leder vorhanden sind, können zudem Allergien auslösen. Chrom gegerbtes Leder gehört am Ende seiner Lebensdauer eigentlich auf den Sondermüll.

Pflanzlich gegerbtes Leder hingegen ist in der Herstellung wesentlich umweltfreundlicher. Natürlich muss man bei den pflanzlichen Gerbstoffen auch darauf achten, wie und wo diese hergestellt worden sind, doch ist deren Fussabdruck in der Regel wesentlich tiefer. Die rein pflanzliche Gerbung dauert einiges länger im Vergleich, weshalb das Leder auch teurer ist im Verkauf. Die Qualität des Leders allerdings ist im Vergleich zu chrom- oder auch synthetisch gegerbtem Leder viel besser, es hat eine wunderschöne Haptik, hält ein Leben lang und wird mit der Nutzung immer schöner.

Unsere Leder sind zudem naturbelassen, das heisst es wird kein Finishing gemacht. Dies hat zur Folge, dass Narben, Kratzer, Mückenstiche und Hautfalten auf dem Leder sichtbar sind.

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7. Du berätst Firmen in deren Produktions- und Herstellungsprozessen und hast ein eigenes Ledertaschenlabel. Was für positive Tendenzen stellst du fest und wo siehst du noch Nachholbedarf?

Die Nachfrage nach unserem Leder steigt – das freut mich total! Transparenz in den Lieferketten bekommt mehr Gewicht. Dabei stehen bei den Firmen und Brands unterschiedliche Themen im Vordergrund: Die artgerechte Tierhaltung, der Transport der lebenden Tiere, die Art der Gerbung, aber auch die lokale Produktion und somit die tiefen CO2-Emissionen durch den Transport.

Sowohl bei Unternehmen wie auch bei den KonsumentInnen gibt es viel Unwissen – was auch verständlich ist, bei einem solch komplexen Thema. „Pflanzlich gegerbtes Leder aus Italien“ oder „Made in Firenze“ reicht für viele schon aus, um ihnen beim Kauf eines Produktes ein gutes Gewissen zu geben. Schaut man aber genauer hin – so richtig genau 😉 –, sind diese Worte oft leere Hülsen. Es braucht daher noch viel Aufklärungsarbeit und Unterstützung.

Dies gilt auch für Themen wie „veganes Kunstleder vs. echtes Leder“ – es herrscht sehr viel Unwissen, die Meinungen und Diskussionen sind immer schwarz-weiss, obwohl es doch so viele Farbtöne dazwischen gäbe. In Gesprächen erfahre ich immer sehr viel, und freue mich stets, wenn ich mit meinem Wissen und meiner Erfahrung etwas beitragen kann.

Naturbelassene Ledertasche mit Patina von LEIT&HELD

8. Es wird viel Greenwashing betrieben. Wo kann sich der Konsument dazu informieren? Und noch wichtiger, was kann der Konsument selbst bewirken?

Ja leider. Man spielt mit besagtem Unwissen und nutzt es aus. Informationen muss man sich oft selber zusammensuchen. Es gibt aber mittlerweile sehr viele tolle Formate, vor allem Blogs, Magazine und Podcasts, welche Inhalte gut verdaulich und verständlich aufbereiten und vermitteln. Ich schätze auch NGOs wie Public eye sehr, welche super Arbeit leistet. Am besten ist immer: Nachfragen! Gerne natürlich auch bei mir 😉

Selber bewirken kann man am meisten, indem man genau hinschaut, nachfragt und hinterfragt. Eine Ledertasche im Fast Fashion Geschäft, die 120.- Franken kostet, kann weder ökologisch noch sozial korrekt hergestellt worden sein. Ich selber kaufe sehr gerne Second Hand ein und wenn neu, dann nur bei kleinen Brands, welche eine ähnliche Philosophie haben wie ich.

Hier eine kleine Auswahl meiner Favoriten:

Podcasts: 

Magazine: The Lissome (online und offline)

Lieblingsbuch: „The World we made“ von Jonathan Porritt

Instagram: @nachhaltig.kritisch

Nina Conrad

Studierte Politik- und Islamwissenschaften an den Universitäten Zürich und Barcelona. Sie arbeitet seit mehreren Jahren als Beraterin Nachhaltigkeit in der Textil- und Lederindustrie und hat sich spezialisiert auf die Herstellung von Leder und Lederwaren, die ihren Ursprung bei artgerecht gehaltenen Tieren haben. Neben ihrer Beratertätigkeit hat sie 2018 das Taschenlabel LEIT & HELD mitgegründet. Zuvor hatte sie mit fin projects die erste Lieferkette für rückverfolgbares Leder aus Schweizer Rinderhäuten aufgebaut. Als aktives Mitglied von Textile Exchange, der weltweit grössten NGO für Wandel in der Textilindustrie, setzt sie sich ehrenamtlich für eine verantwortungsvollere Lederproduktion ein.

Die bttr GmbH initiiert und entwickelt transparente, nachhaltige und lokale Wertschöpfungsketten in der Lederindustrie. Sie unterstützt auch andere Unternehmen bei der Optimierung ihrer Lieferketten.

Nina Conrad, bttr GmbH
[email protected]
+41 79 675 79 65
traceableleather.com

Bildmaterial: Jonas Weibel für LEIT & HELD

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