Appenzeller Gurt verarbeitet seit einigen Jahren für einen Grossteil der Produkte regionales Leder. Wie der Name schon verrät, wird das Leder in der Region, in Süddeutschland, gegerbt. Die Rohmaterialien stammen aus der Surselva und der Innerschweiz.Wir haben uns mit Nina, der Initiantin und Produzentin, zu Themen wie Hofschlachtungen, ökologische Gerbung und Patina unterhalten und nachgefragt, wieso die Schweiz da Nachholbedarf hat.
Überarbeitete Version des Interviews vom August 2020, veröffentlicht im April 2024.
1. Du verwendest den Begriff «regionales Leder». Was ist damit gemeint?
Nina Conrad: Damit ist Leder gemeint, das von seinem Ursprung – dem Tier – und über die gesamte Herstellung in der Region hergestellt worden ist.
Eine regionale und transparente Produktion ist in der Lederindustrie nicht Usus: Die Lieferketten sind lang und undurchsichtig. Oftmals weiss man nicht, woher das Fell stammt, aus dem das Leder hergestellt wurde und schon gar nicht zu welchen Bedingungen das Tier gelebt hat. Deshalb wollen wir dies mit unserer Produktion ändern und einen neuen Standard setzen.
Die nachhaltige Produktion ist für uns selbstverständlich: Dies beginnt mit der artgerechten Tierhaltung und biologischer, biodynamischer oder regenerativer Landwirtschaft. Wir arbeiten mit regionalen Schlachthöfen in Graubünden und der Zentralschweiz zusammen, der Transportweg ist für die Tiere also kurz, teilweise wird auf dem Hof geschlachtet – was seit wenigen Jahren wieder viel einfacher umzusetzen ist. Für die Tiere bedeutet dies weniger Stress. Die Felle werden rein pflanzlich und ohne den Einsatz von giftigen Chemikalien zu Leder gegerbt. Dieser Prozess findet in Süddeutschland statt.
2. Welche Rolle spielt dabei der Ueli-Hof?
Der Ueli-Hof ist eine Bio-Metzgerei in der Innerschweiz. Diese setzt nicht nur auf Qualität, sondern auch auf Verantwortung und Nachhaltigkeit. Die Erzeugergemeinschaft besteht aus Bio-Bäuer:innen, die ihre Tiere in Mutterkuhhaltung aufziehen. Die enge Kooperation mit den Landwirt:innen und die geographische Nähe gewährleistet den respektvollen Umgang mit dem Tier auch auf dem letzten Weg und sichert eine transparente Rückverfolgbarkeit.
3. Wichtiger Teil des Tierwohls hängt auch mit dem Schlachtprozess zusammen. Wie passiert das bei deinen Partnern?
Nina: Die Tiere stammen alle aus der Umgebung – somit ist ein kurzer Anfahrtsweg sichergestellt. Die Transporte finden in der Regel in einem Pferdeanhänger statt, die Tiere werden also nicht in grosse Laster gepackt und quer durch das Land gefahren. Ein Teil der Tiere wird auf dem Hof geschlachtet, eine Möglichkeit, von der immer mehr Landwirt:innen Gebraucht machen. Der Prozess an und für sich findet „schonend“ statt – ich formuliere dies in Gänsefüsschen, denn kann das Töten eines Tieres überhaupt „schonend“ stattfinden? Meiner Meinung nach nicht. Meine Partner nehmen sich aber für die Tiere sehr viel Zeit, es werden an einem Tag im Durchschnitt nur rund 10 Rinder geschlachtet – im Gegensatz zu konventionellen Schlachthöfen, wo dies bis zu 40 Tiere pro Stunde sind.
4. Wo wird das Leder gegerbt und gefärbt und was ist speziell an diesem Prozess?
Nina: Unsere Leder werden in Süddeutschland rein pflanzlich gegerbt. Anders als gemeinhin angenommen, kommen in der Vorgerbung synthetische Hilfsstoffe zum Einsatz, die allerdings ökologisch unbedenklich sind. Die Zusammensetzung der Gerbmischung ist von Gerberei zu Gerberei unterschiedlich und stets ein gut gehütetes Geheimnis. Zum Einsatz kommen Extrakte von Quebracho-, Eichen- und Kastanienholz, Baumrinden von Mimosen- und Sumachgewächsen wie auch Baumfrüchte, zum Beispiel die Valonea-Eiche oder Taraschoten.
Zum Färben kommen synthetische, wasserbasierte, REACH-zertifizierte Farben zum Einsatz, die unbedenklich sind und gegenüber pflanzlichen Farbstoffen viele Vorteile aufweisen. Mit Pflanzenextrakten zu färben ist leider extrem teuer, da es verhältnismössig viel Extrakt braucht. Der Prozess ist sehr wasserintensiv, die pflanzlichen Farbstoffe können nicht wieder aufbereitet werden und ausserdem bleicht die Farbe schnell aus.
Ein grosser Teil unserer Leder wird aber nicht gefärbt, sondern bleibt naturbelassen. Dieses Leder bekommt mit der Nutzung eine wunderschöne Patina, wird mit der Zeit immer dunkler und weicher.
5. Kühe aus der Schweiz, aber die Gerbung in Süddeutschland – wieso nicht in der Schweiz?
Nina Conrad: Die Gerbung unseres Leders findet aus einem einfachen Grund in Deutschland statt: In der Schweiz gibt es keine Gerbereien mehr, die auf die Verarbeitung von grösseren Stückzahlen ausgerichtet sind und Leder in einer Qualität herstellen können, die unseren Ansprüchen genügt. Die Gerberei liegt nur 40 Minuten von der Schweizer Grenze entfernt – und liegt somit in unserer Region. Regionalität macht meiner Meinung nach an den historisch entstandenen Landesgrenzen keinen Halt.
So können wir die Transportwege sehr kurz und die CO2-Emissionen niedrig halten. Im Vergleich zu den italienischen Gerbereien passiert hier alles unter demselben Dach – von der Vorgerbung bis zum Finishing. So können wir die Rückverfolgbarkeit garantieren.
«In der Schweiz gibt es keine Gerbereien mehr, die auf die Verarbeitung von grösseren Stückzahlen ausgerichtet sind und Leder in einer solchen Qualität herstellen können.»
Nina Conrad
6. Was unterscheidet Chrom gegerbtes Leder von pflanzlich gegerbtem Leder?
Nina Conrad: Vieles. Der Einsatz der Gerbstoffe bestimmt das Endprodukt. Die Chromgerbung ist im Vergleich zur pflanzlichen Gerbung sehr viel kürzer und daher auch kostengünstiger. Das Leder wird weich, leichter, und durch das helle Ausgangsmaterial kann es mit allen Farbtönen gefärbt weder. Allerdings überwiegen meiner Meinung nach die Nachteile: Chrom ist ein Schwermetall, welches – wie leider die meisten Schwermetalle – unter misslichen Bedingungen abgebaut wird. Bei korrekter Verwendung sind die Chrom-III-Salze zwar unbedenklich, sie können sich aber unter extremen Konditionen zu gesundheitsschädlichem Chrom VI verwandeln. Die Rückstände, die im Leder vorhanden sind, können zudem Allergien auslösen. Chrom gegerbtes Leder gehört am Ende seiner Lebensdauer eigentlich auf den Sondermüll.
Pflanzlich gegerbtes Leder hingegen ist in der Herstellung wesentlich umweltfreundlicher. Natürlich muss man bei den pflanzlichen Gerbstoffen auch darauf achten, wie und wo diese hergestellt worden sind, doch ist deren Fussabdruck in der Regel wesentlich tiefer. Die rein pflanzliche Gerbung dauert einiges länger im Vergleich, weshalb das Leder auch teurer ist im Verkauf. Die Qualität des Leders allerdings ist im Vergleich zu chrom- oder auch synthetisch gegerbtem Leder viel besser, es hat eine wunderschöne Haptik, hält ein Leben lang und wird mit der Nutzung immer schöner.
Unsere Leder sind zudem naturbelassen, das heisst es wird kein Finishing gemacht. Dies hat zur Folge, dass Narben, Kratzer, Mückenstiche und Hautfalten auf dem Leder sichtbar sind.
Was ich an dieser Stelle gerne noch erwähnen möchte: Die eigentliche Gerbung ist nur ein Schritt von vielen in der Herstellung von Leder. Die ersten Prozessschritte, in welchen die frische Rohhaut von Schmutz, Haaren und Fleischresten befreit und somit für die Gerbung vorbereitet wird, ist der wasser- und chemieintensivste Teil.
7. Du berätst viele Firmen in deren Produktions- und Herstellungsprozessen und arbeitest auch für ein Emmentaler Ledertaschenlabel. Was für positive Tendenzen stellst du fest und wo siehst du noch Nachholbedarf?
Die Nachfrage nach unserem Leder steigt – das freut mich total! Transparenz und Regionalität in den Lieferketten bekommt mehr Gewicht. Dabei stehen bei den Firmen und Brands unterschiedliche Themen im Vordergrund: Die artgerechte Tierhaltung, der Transport der lebenden Tiere, die Art der Gerbung, aber auch die lokale Produktion und somit die tiefen CO2-Emissionen durch den Transport.
Sowohl bei Unternehmen wie auch bei den Konsument:innen gibt es viel Unwissen – was auch verständlich ist, bei einem solch komplexen Thema. „Pflanzlich gegerbtes Leder aus Italien“ oder „Made in Firenze“ reicht für viele schon aus, um ihnen beim Kauf eines Produktes ein gutes Gewissen zu geben. Schaut man aber genauer hin – so richtig genau 😉 –, sind diese Worte oft leere Hülsen. Es braucht daher noch viel Aufklärungsarbeit und Unterstützung.
Dies gilt auch für Themen wie „veganes Kunstleder vs. echtes Leder“ – es herrscht sehr viel Unwissen, die Meinungen und Diskussionen sind immer schwarz-weiss, obwohl es doch so viele Farbtöne dazwischen gäbe. In Gesprächen erfahre ich immer sehr viel, und freue mich stets, wenn ich mit meinem Wissen und meiner Erfahrung etwas beitragen kann.
8. Es wird viel Greenwashing betrieben. Wo kann sich der Konsument dazu informieren? Und noch wichtiger, was kann der Konsument selbst bewirken?
Ja leider. Man spielt mit besagtem Unwissen und nutzt es aus. Informationen muss man sich oft selber zusammensuchen. Es gibt aber mittlerweile sehr viele tolle Formate, vor allem Blogs, Magazine und Podcasts, welche Inhalte gut verdaulich und verständlich aufbereiten und vermitteln. Ich schätze auch NGOs wie Public eye sehr, welche super Arbeit leistet. Am besten ist immer: Nachfragen! Gerne natürlich auch bei mir 😉
Selber bewirken kann man am meisten, indem man genau hinschaut, nachfragt und hinterfragt. Eine Ledertasche im Fast Fashion Geschäft, die 120.- Franken kostet, kann weder ökologisch noch sozial verantwortlich hergestellt worden sein. Ich selber kaufe sehr gerne Secondhand ein und wenn neu, dann nur bei kleinen Brands, welche eine ähnliche Philosophie haben wie ich.
Hier eine kleine Auswahl meiner Favoriten:
Podcasts:
Magazine: The Lissome (online und offline)
Lieblingsbücher:
Instagram: @nachhaltig.kritisch
Nina Conrad
Nina hat Politik- und Islamwissenschaften sowie Völkerrecht und Ethnologie an den Universitäten Zürich und Barcelona studiert. Nach einigen Jahren im Business Development für Startups und im sozialen Sektor setzte sie ihren Fokus auf den Aufbau regionaler, regenerativer Lieferketten für nachhaltiges Leder.
Heute produziert sie Leder für kleine und grosse Unternehmen, unterstützt als Nachhaltigkeitsberaterin, Produktmanagerin und Projektleiterin diverse Projekte in der Bekleidungs-, Accessoires- und Schuhbranche und lehrt an mehreren Hochschulen. Ausserdem ist sie Gründungsmitglied der Sustainable Leather Foundation und Beraterin einer internationalen Messe. Als Mitgründerin von Fibershed DACH, einer Non-Profit-Organisation mit Sitz in Bern, setzt sie sich aktiv für eine Veränderung der Textilwirtschaft ein.
Nina Conrad
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+41 79 675 79 65
regionales-leder.com
Bildmaterial: Angelika Annen, Ueli-Hof AG, Marai